Reverse-Charge-Verfahren (Verlagerung der Umsatzsteuerschuld vom leistenden Unternehmer auf den unternehmerischen Leistungsempfänger)

Aktuelles

Durch Artikel 12 Nummer 2 i. V. m. Artikel 18 Absatz 4 des Achten Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vom 24. Oktober 2022 (BGBl. 2022 I Seite 1838) wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2023 § 13b Absatz 2 Nummer 6 UStG neu gefasst. Die bestehende Vorschrift zur Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers wurde auf die Übertragung von Emissionszertifikaten nach § 3 Nummer 2 des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) ausgeweitet.


Das Bundesfinanzministerium hat am 2. Mai 2022 ein BMF-Schreiben zur Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei sonstigen Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation veröffentlicht.
Seit zum 01.01.2021 der § 13b Abs. 2 Nr. 12 UStG eingefügt wurde und § 13b Abs. 5 UStG geändert wurde, gab es Unsicherheit bei Vermietern. Dabei ging es um die Frage, wer die Umsatzsteuer schuldet, wenn Vermieter Telekommunikationsdienstleistungen an ihre Mieter weitergeben.
Auszug aus dem BMF-Schreiben:

Die Bereitstellung von Internet- und/oder TV-Anschluss an einen Unternehmer stellt eine sonstige Leistung auf dem Gebiet der Telekommunikation dar. Der Leistungsort bestimmt sich nach § 3a Abs. 2 UStG. Der Leistungsempfänger ist gem. § 13b Abs. 2 Nr. 12 i. V. m. Abs. 5 Satz 6 UStG Steuerschuldner, wenn er ein Unternehmer ist, dessen Haupttätigkeit in Bezug auf den Erwerb dieser Dienstleistung in deren Erbringung besteht und dessen eigener Verbrauch von untergeordneter Bedeutung ist (sog. Wiederverkäufer).

Der Begriff des Wiederverkäufers ist grundsätzlich eng auszulegen. Wohnungseigentümergemeinschaften und Vermieter, die Telekommunikationsdienstleistungen an die einzelnen Wohnungseigentümer bzw. Mieter weitergeben, werden jedoch regelmäßig nicht von dem Begriff des Wiederverkäufers umfasst.

Grundsätze

Nach dem nationalen Umsatzsteuerrecht muss ein Leistungserbringer die Umsatzsteuer vom Leistungsempfänger vereinnahmen und an das Finanzamt entrichten. Wenn der Leistungsempfänger Unternehmer ist, kann er die gezahlte Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend machen.

Um es ausländischen Unternehmern aus steuerlicher Sicht zu erleichtern, im Inland steuerpflichtige Umsätze zu erbringen, wurde das Reverse-Charge-Verfahren entwickelt. Das Reverse-Charge-Verfahren bezeichnet die Verlagerung der Umsatzsteuerschuld vom leistenden Unternehmer auf den Leistungsempfänger. Beim Leistungsempfänger fallen Steuerschuld und Vorsteuerabzug zusammen und saldieren sich direkt. Mit diesem Ansatz wird die Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs leichter. Das Reverse-Charge-Verfahren führt aber auch zu administrativen Erleichterungen für die am Umsatz beteiligten Parteien.

Grundgedanke: Wo Mehrwertsteuer nicht gesondert in Rechnung gestellt werden darf, kann sie auch nicht als Vorsteuer hinterzogen werden.

In Deutschland wurde zum 01.01.2002 das Reverse Charge Verfahren (§ 13b UStG) eingeführt. Zu diesem Zeitpunkt betraf es als Hauptanwendungsfall den ausländischen Unternehmer, der in Deutschland Werkleistungen erbringt. Es gab aber zahlreiche Sonderregelungen und Ausnahmen. Die Rechnungsstellung des ausländischen Unternehmers erfolgt netto mit dem schriftlichen Hinweis auf den Wechsel der Steuerschuldnerschaft. Der deutsche Unternehmer (Leistungsempfänger) deklariert gegenüber seinem Finanzamt die Umsatzsteuer und zieht gleichzeitig die Vorsteuer. Das Verfahren wurde in den folgenden Jahren erweitert.

Der § 13b UStG enthält die Fälle, in denen der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schuldet.

Personenkreis bzw. Gegenstand Gesetzliche Regelung
Unternehmer im EU-Ausland (übriges Gemeinschaftsgebiet)
gültig ab 2010
Bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen waren die Regelungen bis 31.12.2009 sehr kompliziert und durch eine Vielzahl von Ausnahmeregelungen gekennzeichnet. Zur Verbesserung der Situation wurde auf europäischer Ebene eine Rechtsänderung verabschiedet (Mehrwertsteuerpaket 2010). Diese musste von allen EU-Mitgliedstaaten bis zum 31.12.2009 umgesetzt werden. Mit dem Jahressteuergesetz 2009 wurden die Regelungen des Mehrwertsteuerpakets in nationales Recht umgesetzt.
§ 13b Abs. 1 UStG: Für nach § 3a Absatz 2 im Inland steuerpflichtige sonstige Leistungen eines im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmers entsteht die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind.
Unternehmer im Ausland (Drittlandsgebiet) § 13b Abs. 2 Nr. 1 UStG: Werklieferungen und nicht unter Absatz 1 fallende sonstige Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers
Lieferung sicherungsübereigneter Gegenstände § 13b Abs. 2 Nr. 2 UStG: Lieferungen sicherungsübereigneter Gegenstände durch den Sicherungsgeber an den Sicherungsnehmer außerhalb des Insolvenzverfahrens
Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen
gültig ab 01.04.2004
§ 13b Abs. 2 Nr. 3 UStG: Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen
Bauleistungen eines im Inland ansässigen Unternehmers
gültig ab 01.04.2004
Zum 01.10.2014 wurden die Voraussetzungen zur Umkehr der Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen neu geregelt.
§ 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG: Bauleistungen, einschließlich Werklieferungen und sonstigen Leistungen im Zusammenhang mit Grundstücken, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen. Als Grundstücke gelten insbesondere auch Sachen, Ausstattungsgegenstände und Maschinen, die auf Dauer in einem Gebäude oder Bauwerk installiert sind und die nicht bewegt werden können, ohne das Gebäude oder Bauwerk zu zerstören oder zu verändern. Nummer 1 bleibt unberührt
Lieferung von Gas über das Erdgasnetz oder von Elektrizität durch im Ausland ansässige Unternehmer (gültig ab 2005)
Lieferung von Gas über das Erdgasnetz oder von Elektrizität eines im Inland ansässigen Unternehmers (gültig ab 01.09.2013)
§ 13b Abs. 2 Nr. 5 UStG:
Lieferungen
a) der in § 3g Absatz 1 Satz 1 genannten Gegenstände eines im Ausland ansässigen Unternehmers unter den Bedingungen des § 3g und
b) von Gas über das Erdgasnetz und von Elektrizität, die nicht unter Buchstabe a fallen
Treibhausgasemissionszertifikate (gültig ab 01.07.2010)
Gas- und Elektrizitätszertifikate (gültig ab 01.01.2020)
§ 13b Abs. 2 Nr. 6 UStG: Übertragung von Berechtigungen nach § 3 Nummer 3 des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes, Emissionsreduktionseinheiten nach § 2 Nummer 20 des Projekt-Mechanismen-Gesetzes, zertifizierten Emissionsreduktionen nach § 2 Nummer 21 des Projekt-Mechanismen-Gesetzes, Emissionszertifikaten nach § 3 Nummer 2 des Brennstoffemissionshandelsgesetzes sowie von Gas- und Elektrizitätszertifikaten
Lieferung von Altmetall, Schrott, Plastikabfällen o. ä.
gültig ab 01.01.2011
§ 13b Abs. 2 Nr. 7 UStG: Lieferungen der in der Anlage 3 bezeichneten Gegenstände
Liste der Gegenstände im Sinne des § 13b Absatz 2 Nummer 7 (Anlage 3)
Ausführung von Gebäudereinigungsleistungen an einen Unternehmer, der selber Gebäudereinigungsleistungen ausführt
gültig ab 01.01.2011
§ 13b Abs. 2 Nr. 8 UStG: Reinigen von Gebäuden und Gebäudeteilen. Nummer 1 bleibt unberührt
Lieferungen von Gold
gültig ab 01.01.2011
§ 13b Abs. 2 Nr. 9 UStG: Lieferungen von Gold mit einem Feingehalt von mindestens 325 Tausendstel, in Rohform oder als Halbzeug (aus Position 7108 des Zolltarifs) und von Goldplattierungen mit einem Goldfeingehalt von mindestens 325 Tausendstel (aus Position 7109)
Lieferungen von Mobilfunkgeräten, Tablet-Computern und Spielekonsolen sowie von integrierten Schaltkreisen
gültig ab 01.07.2011
§ 13b Abs. 2 Nr. 10 UStG: Lieferungen von Mobilfunkgeräten, Tablet-Computern und Spielekonsolen sowie von integrierten Schaltkreisen vor Einbau in einen zur Lieferung auf der Einzelhandelsstufe geeigneten Gegenstand, wenn die Summe der für sie in Rechnung zu stellenden Entgelte im Rahmen eines wirtschaftlichen Vorgangs mindestens 5 000 Euro beträgt; nachträgliche Minderungen des Entgelts bleiben dabei unberücksichtigt
Lieferungen der in der Anlage 4 bezeichneten Gegenstände (bestimmte Metalle)
gültig ab 01.10.2014
§ 13b Abs. 2 Nr. 11 UStG: Lieferungen der in der Anlage 4 bezeichneten Gegenstände, wenn die Summe der für sie in Rechnung zu stellenden Entgelte im Rahmen eines wirtschaftlichen Vorgangs mindestens 5 000 Euro beträgt; nachträgliche Minderungen des Entgelts bleiben dabei unberücksichtigt
Liste der Gegenstände, für deren Lieferung der Leistungsempfänger die Steuer schuldet (Anlage 4)
Sonstige Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation
gültig ab 01.01.2021
§ 13b Abs. 2 Nr. 12 UStG: sonstige Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation. Nummer 1 bleibt unberührt.
Durch das Jahressteuergesetz 2020 wurden zum 01.01.2021 § 13b Abs. 2 Nr. 12 UStG eingefügt und § 13b Abs. 5 UStG geändert. Die bestehende Vorschrift zur Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach § 13b UStG wurde auf sonstige Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation ausgeweitet. Die Änderung hat zur Folge, dass bei nach dem 31.12.2020 ausgeführten sonstigen Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation an sog. Wiederverkäufer der Leistungsempfänger Steuerschuldner nach § 13b Abs. 2 Nr. 12 in Verbindung mit Abs. 5 Satz 6 UStG ist.
Eingefügter Satz in § 13b Abs. 5 UStG: Bei den in Absatz 2 Nummer 12 Satz 1 genannten Leistungen schuldet der Leistungsempfänger die Steuer, wenn er ein Unternehmer ist, dessen Haupttätigkeit in Bezug auf den Erwerb dieser Leistungen in deren Erbringung besteht und dessen eigener Verbrauch dieser Leistungen von untergeordneter Bedeutung ist; davon ist auszugehen, wenn ihm das zuständige Finanzamt eine im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes gültige auf längstens drei Jahre befristete Bescheinigung, die nur mit Wirkung für die Zukunft widerrufen oder zurückgenommen werden kann, darüber erteilt hat, dass er ein Unternehmer ist, der entsprechende Leistungen erbringt. (Quelle: BMF-Schreiben zur Erweiterung der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers (§ 13b UStG) auf Telekommunikationsdienstleistungen vom 23.12.2020)

§ 14a Abs. 5 UStG:

Führt der Unternehmer eine Leistung im Sinne des § 13b Absatz 2 aus, für die der Leistungsempfänger nach § 13b Absatz 5 die Steuer schuldet, ist er zur Ausstellung einer Rechnung mit der Angabe "Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers" verpflichtet; Absatz 1 bleibt unberührt. Die Vorschrift über den gesonderten Steuerausweis in einer Rechnung nach § 14 Absatz 4 Satz 1 Nummer 8 wird nicht angewendet.

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